Kurzportrait
Das Alevitentum
Das Alevitentum ist eine humanistische, naturverbundene, tolerante, weltoffene, Bescheidenheit und Nächstenliebe ausstrahlende Glaubenslehre. Die Auseinandersetzung mit sich selbst spielt im Alevitentum eine wichtige Rolle. Der Mensch steht im Zentrum der alevitischen Lehre, da nach ihr in jedem Menschen und dem Kosmos die "göttliche Wahrheit" verborgen liegt.
Der tiefsinnige humanistische Kern dieses Glaubens wird in den Worten des Gelehrten Hünkar Bektaş Veli (13. Jh.) deutlich, wenn er schreibt: „Andere haben die Kaaba, meine Kaaba ist der Mensch, sowohl Erschaffender, als auch Erlöser, ist der Mensch, die Menschheit selbst.“ Weil für die eigenständige Religionsgemeinschaft der Aleviten alles göttlich ist, kann „Gott“ in der gesamten Natur und im eigenen Selbst aufgespürt werden. Der Aschiq (Liebende) Daimi schreibt: „Ich bin der Spiegel des Universums, wenn ich doch ein Mensch bin. Ich bin der Ozean der Wahrheit (Wirklichkeit), wenn ich doch ein Mensch bin.“ Man spricht von einem Glauben der Befreiung und Freiheit. So ist Selbstbefreiung u.a. durch Wissensaneignung möglich. Der Heilige Ali (6. Jh. n. Chr.) möchte demjenigen, der ihm „ein Wort lehrt 1000 Jahre dienen“. Das Alevitentum ist zudem ein Glaube der Liebe und des Herzens. Dieses Merkmal lässt sich wie folgt zusammenfassen: Unsere Religion ist die Liebe und unser heiliges Buch der Mensch. So schreibt der Aschiq Hüdai (1940-2001): „Des Menschen Leben ist unser Leben, des Menschen Körper ist unser Körper, die Liebe ist unsere Religion, an keine andere glauben wir.“ Ziel eines jeden gläubigen Aleviten ist es ein vollkommener Mensch zu werden.
In der religiösen und kulturellen Praxis der Aleviten spielen Poesie, Tanz und Musik - insbesondere das Spiel auf der türkischen Langhalslaute, die Bağlama genannt wird - eine große Rolle. Zudem steht das Alevitentum als zeitgenössischer "Weg" stets auch im Einklang mit den Erkenntnissen der Wissenschaft. Die Gleichstellung der Geschlechter, Naturverbundenheit, Toleranz, Weltoffenheit, Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft sind Kernelemente des alevitischen Glaubens. Die Aleviten erachten alle Völker als gleichwertig und setzen sich in ihrer historischen Tradition für die Unterdrückten und Schwachen ein.
Ungefähr 95% aller Aleviten stammen aus der Türkei. Dort bilden sie mit ca. 20% nach den sunnitischen Muslimen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft. Dennoch ist das Alevitentum in der Türkei nach wie vor nicht als eigenständige Religion anerkannt. Aleviten leben in allen Provinzen der Türkei, die meisten sind aber in Zentral– und Ostanatolien zu Hause. Durch Migrationsbewegungen sind inzwischen in vielen Ländern aktive Alevitische Gemeinschaften ansässig – so auch in Deutschland.
Aleviten in Deutschland
- In Deutschland leben zwischen 500.000-800.000 Personen mit alevitischen Wurzeln, leider kann man die genau Zahl nur schwer ermitteln. Insgesamt heisst das dennoch, dass ca. 20-30% der Personen mit anatolischem Migrationshintergrund in Deutschland Aleviten sind.
- Die Alevitische Gemeinde ist in Deutschland eine rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft nach Art. 7, Abs. 3 des Grundgesetzes.
- Die Alevitische Gemeinde setzt sich sowohl aus ursprünglich türkisch-sprachigen, kurdisch-sprachigen und zaza-sprachigen Menschen zusammen.